Pressebericht Uster 2.7.2004

© Tages-Anzeiger; 03.07.2004
Zürich Eindrückliche Dinosaurier-Show Oldies but Goldies: Am ersten «Spirit of Music»-Openair in Uster sorgten Altstars wie die Scorpions oder Status Quo vor 15 000 Besuchern für Stimmung.

Von Thomas Wyss
Uster. - Was man beim Betrachten des Programms vermutet hatte, sah sich schon um halb fünf, beim Auftritt von Manfred Mann's Earth Band, bestätigt: «Spirit Of Music», das erstmals durchgeführte Openair auf der Sportanlage Buchholz in Uster, würde keine Freiluftkonzert-Veranstaltung der herkömmlichen Sorte werden.
Es waren nämlich für einmal nicht Teenager, die hier ausgelassen durch die Gegend hüpften, sondern vornehmlich Musikfans mit 45 oder mehr Jahren auf ihren Buckeln. Menschen also, die noch wissen, wie man richtig Luftgitarre spielt; Menschen, die gigantische Marihuana-Stumpen rumreichen, wie man sie sonst nur noch in abgefahrenen Sixties-Streifen zu sehen bekommt. Die wilderen dieser für junge Augen wohl bisweilen etwas seltsam anmutenden Gestalten sind tätowiert, tragen AC-DC-Shirts und haben eine blondierte Rockerbraut im Schlepptau. Die anständigen tragen Vögeli-Mode und sind mit der Gattin angereist. Gitarrendonner und Wolkenbruch.
Was all diese Besucher trotz unterschiedlichen Lebensstilen miteinander verbindet, ist die unsterbliche Liebe zum Dinosaurierrock; zu Gruppen wie BAP, den Scorpions, Status Quo, Deep Purple oder der zitierten Earth Band von Manfred Mann - mit Ausnahme von Deep Purple alles Formationen, die früher mehr oder weniger locker stattliche Arenen zu füllen vermochten und die heute in Uster oder andern Provinzstädten den Herbst ihrer Musikkarriere zelebrieren müssen.
Dies taten sie aber am Eröffnungstag des «Spirit of Music» trotz manchmal knappem Atem mit viel Elan, Charme und Spielfreude, sodass bereits bei Manfred Mann's epischen, bluesrockigen Soundwänden bierselige Wehmut aufkam. Erstes Highlight war aber zweifellos der Auftritt der Scorpions, Deutschlands erfolgreichster Hardrock-Combo. Angeführt von Sänger und Schröder-Spezi Klaus Meine, setzten die Hannoveraner für einmal nicht bloss auf balladeske Klassiker wie «Wind of Change» oder «Still Lovin' You», sondern verblüfften mit einem unbarmherzigen, eindringlichen Gitarrengewitter, bei dem auch mancher Kracher des aktuellen Albums «Unbreakable» zum Zuge kam. Lags tatsächlich an der donnernden Musik, wie einige vermuteten, dass mitten während des Scorpions-Sets ein erster Wolkenbruch niederging?
Wer geglaubt hatte, Status Quo hätten nach diesem Furioso einen schweren Stand, sah sich bald eines Besseren belehrt. Mit seiner bewusst einfach gestrickten Oldie-Parade eroberte das Evergreen-Quintett um Rick Parfitt und Francis Rossi die rund 15 000 Besucher im Sturm. Der Auftritt von Deep Purple begann dann nach Redaktionsschluss.

© Tages-Anzeiger; 05.07.2004 Bellevue Openair mit Easy-Jet-Charakter Im Stadion Buchholz bei Uster wurde am vergangenen Wochenende Openair-Musik ohne Schnörkel oder Luxus präsentiert. Ein rudimentäres, aber überlebensfähiges Konzept.

Von Nick Joyce
Es soll niemand behaupten, er oder sie sei nicht gewarnt worden. Schon das schlichte Design der Webseite des Openair Uster vermittelte eine bodenständige Schnörkellosigkeit, die beim zweitägigen Anlass vom vergangenen Wochenende Programm war. Um zu erfahren, dass es sich beim Spirit Of Music, wie die Veranstaltung mit englischem Titel hiess, nicht etwa um ein Festival mit Camping-Kapazität und unterstützendem Rahmenprogramm handelte, sondern nur um einen reinen Openair-Event, musste sich der interessierte Surfer sorgfältig durch die sparsam getextete Netzseite klicken. Passend zu diesem Konzept, das an die Politik der Billig-Airline Easy-Jet erinnerte, war auch das solide, aber nicht gerade schillernde Musikangebot: Manfred Mann, BAP, Scorpions, Status Quo und Deep Purple (Freitag) haben alle ihren Zenit überschritten, abgesehen von Lenny Kravitz erfreuen sich Kaizers Orchestra, Stereophonics und Blondie eher eines schwankenden Marktwertes. Mit einem derart unspektakulären Programm aufzufahren, wirkte ganz schön selbstbewusst für einen Anlass, der zum ersten Mal über die Bühne ging - und das zeitgleich mit dem Openair St. Gallen, dem Züri-Fäscht und am Sonntag dem Endspiel der Fussball-EM
Mehr Volksfest als Woodstock
Die Rechnung scheint teilweise aufgegangen zu sein: Am Freitag waren es mehr als 13 000 Zuschauerinnen und Zuschauer jeden Alters, die zum Sportplatz Uster pilgerten und schon früh die WCs und Verpflegungsstände belagerten. Auf den Betonterrassen und Feldblachen vor der grossen Bühne war von Woodstock-Atmosphäre nichts zu spüren, stattdessen machte sich ein Volksfest-Ambiente breit, das auch nicht von aufdringlichen Sponsoren gestört wurde. Diese hielten sich - ungewöhnlich für einen Grossanlass dieser Art - mit Werbeaktionen und Selbstinszenierungen zurück - eine Wohltat.
Die Bands schienen es zu geniessen, für einmal in Abwesenheit der üblichen Ablenkungen tatsächlich im Mittelpunkt zu stehen. So leichtfüssig spielfreudig hat man Wolfgang Niedecken und seine BAP schon lange nicht mehr erlebt. Dass die Scorpions hingegen völlig fehl am Platz wirkten, lag an ihren abgestandenen Metal-Manövern. Und mit jedem weiteren Song, den das deutsche Quintett anstimmte, verdunkelte sich der Himmel zunehmend. Ein Dämpfer auf allen Fronten.
12 000 am Sonntag - trotz EM-Final
Weitaus spannender war der Sonntag: Blondie, die unverwüstliche Punkpopgruppe um Frontfrau Debbie Harry, zeigte mit ihrem Hit-gespickten Programm einmal mehr, wie mitreissend ihre Konzerte sein können. Lenny Kravitz demonstrierte - trotz dem missratenen letzten Album «Baptism» - viel Spielfreude. Aber auch seinen Hang, mit seiner bestens eingespielten Band bekannte Songs wie «Always on the Run» zu zerdehnen, was dem beigeisterten Publikum nichts auszumachen schien. Der Headliner dieses Openairs bewies die vom Veranstalter erhoffte Zugkraft: Trotz EM-Final kamen gestern 12 000 Menschen nach Uster.