Pressebericht der Mail on Sunday, 7.11.2005 am Rande des Essener Konzert


"Schaut unsere Fans an - das sind doch auch keine Gehirnchirurgen, oder? Und wir auch nicht!"

Von Anna van Praagh
In Essen, Deutschland

Die aussergewöhnlich hässliche Grugahalle steht etwas abseits des restlichen desolaten Stadtwuchers von Essen. Draussen, zwischen Bratwurst und Bier, glotzt eine Gruppe älterer Lederjacken-tragender Rocker, versammelt wie Vieh, auf ihre Idole hinauf.
Oben bereiten sich Status Quo, dieser eigentümliche Überrest des britischen Nationalerbes, für die ausverkaufte Abendveranstaltung vor - mit Tee und Kreuzworträtseln. Als ihnen die 5.000 köpfige Menge draussen zujubelt, gehen die 5 Jungs auf die Fenster zu, um ihre Fans zu mustern.
"Hmmh 'Stand up and fight'?", sagt der etwas kleine Rick Parfitt, denn er muss sich auf die stahlbemäntelten Spitzen seiner bunt-gestreiften Stiefel stellen, um einen Blick auf ein Plakat werfen zu können. "Was zur Hölle bedeutet das?". "Wir sind jetzt in der Armee" meint Francis Rossi, die andere Hälfte des Gründer-Duos, bezugnehmend auf einen der bekanntesten Hits der Band. "Oh, ja stimmt" sagt Parfitt.
"Guck sie Dir an," sagt Bassist John "Rhino" Edwards, der seine Fans eingehend mustert. "Sie sind keine Gehirnchirurgen, oder?"
"Nein Rhino, das sind sie nicht", antwortet Rossi mit einem verschmitzten Lächeln. "Und wir auch nicht, mein Sohn".
Das mag schon sein, aber offensichtlich hat Quo etwas richtig gemacht. In einem Geschäft, wo Karrieren über Nacht gemacht werden - und zerbrechen, haben sie Erfolg gehabt, wo fast alle anderen Bands gescheitert sind. Nach 40 Jahren kann die Band in der Geschichte der Charts mehr Hits für sich beanspruchen als irgendeine andere Band: 61 Hits seit Pictures of Matchstick Men in 1968 erschien.
Seit Rick Parfitt das erste Mal Francis Rossi in einem Butlins-Feriencamp getroffen hat und sie sich dazu entschieden eine Band zu gründen, hat Status Quo mehr als 100 Millionen Platten verkauft, sie waren 413 Wochen in den Singles Charts und produzierten 34 Alben. Zusammen sind sie mehr als 4 Millionen Meilen weit gereist (das ist ungefähr gleich, als ob man 8x zum Mond und wieder zurück fahren würde.) und sie verbrachten 23 Jahre von zuhause weg, jedes Jahr 7 Monate auf Tournee.
Die aktuelle Besetzung ist Rossi und Parfitt, Gitarre und Gesang; Andrew Bown, Keyboards und Gitarre; John 'Rhino' Edwards, Bass und Gesang; Matt Letley Schlagzeug. Parfitt und Rossi sind die einzigen Gründungsmitglieder und mit ihren 56 bzw. 57 Jahren sind sie in etwa im gleichen Alter wie meine Eltern.
Nachdem ich Backstage auf dieser Tour mit Status Quo mitgehen durfte, freute ich mich auf ein Rock 'n' Roll-Ereignis. In ihrer Glanzzeit waren sie bekannt für ihre 1000 Pfund teuren wöchentlichen Kokain-Eskapaden, jede Menge Alkoholmissbrauch und ihre, sagen wir "entgegenkommende" Art besonders liebevoll zu ihren weiblichen Fans zu sein. In den Neunzigern nahm es ein ziemlich rasches Ende - Rossi bekam vom Kokain-Schnupfen ein Loch in seiner Nasenwand und Parfitt wurde sogar ins Krankenhaus gebracht, wo er einen 4-fachen Bypass am Herzen bekam.
Aber heute Backstage in der zumindest bekanntesten Rock-Halle des Ruhrzentrums belehren mich Parfitt und Rossi; mit nichts anderem als mit dem Rock 'n' Roll.
Während Parfitt ein echter Witzemacher im Stil des David Brent-Variete's ist, scheint Rossi zurückhaltender. Ruhig sitz er in seinem hellblauen Hemd mit seinem zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haar da, trinkt Tee aus einer Schneemann-Tasse während er das Kreuzworträtsel studiert. Parfitt sagt ihm, dass er aussieht wie Great Uncle Bulgaria von den Wombles.
"Das Kreuzworträtsel der Mail und der Times löse ich jeden Tag", verkündet er stolz mit seinen grossen grünen Augen, die mich hinter einer Brille angucken. "Meine Frau erzählt mir laufend, ich soll Sudoku ausprobieren, aber das ist wohl etwas zu trendig für mich. Ich muss warten bis es nicht mehr IN ist. Wir sind schon immer etwas OUT gewesen. Ich bin offensichtlich der unmodischte Mensch der Welt. Ich trage weisse Socken, was OUT ist - und ich komme aus Purley, was noch mehr OUT ist - und ich habe einen Pferdeschwanz - OUT."
"Aber ich verstehe auch diese Regeln des IN-seins nicht, denn bei mir sehen die weissen Socken düster aus, aber wenn Brian Ferry sie trägt, dann sind sie plötzlich IN. Stimmt das nicht, Rick?" "Jeder kriegt in diesem Business sein Fett ab," gibt Parfitt zu verstehen. "aber bei uns ist es ziemlich absurd geworden. Eine Woche lang sind wir die Lieblinge, aber dann wie die ganzen Jahre hinweg heisst es wieder "jeder Song hört sich gleich an, unsere Fans sind dick, wir haben Schuppen, wir sind dick, wir sind OUT..."
Dieses IN/OUT-Thema beschäftigt die beiden schon ziemlich stark und wird ausgiebigst diskutiert. Jedes Gespräch endet mit dem Satz "Na gut, irgendetwas müssen wir ja richtig gemacht haben, um 40 Jahre zu bestehen." Und für mindestens 10 Minuten ist damit dieses Thema mal vom Tisch.
Während Rossi über seinen Garten in Purley und seinen Golden Retriever "Honeybun" sinniert, denke ich, dass diese Rock 'n' Roll-Sache nicht für alle gilt, man muss schon ein bisschen übergeschnappt sein.
Es ist schon fast Essenzeit, aber mir ist noch kein Drink angeboten worden, vom Kokain ganz zu schweigen. Die Räumlichkeiten für die Band hier in diesem Backstage-Bereich wirken wenig luxuriös, alles kahle Wände. Man könnte denken: Dieser Platz ist deprimierend.
Die 42-köpfige Crew, die für Quo arbeitet, sieht es anders. Es kommt nicht überraschend, das sie zufrieden sind: Status Quo ist die einzige Band in Grossbritannien, die ihre Mitarbeiter das ganze Jahr über bezahlt und jeder wird höflich behandelt. Aber es ist ein hartes Leben. Jeden Morgen der diesjährigen 108 Auftritte zieht die Crew zum mnächsten Auftrittsort, um alles aufzubauen und verlässt die Halle nie vor 23 Uhr nachts, um dann die ganze Nacht bis zur nächsten Halle zu fahren. Und dann wiederholt sich dieserr Non-Stop-Vorgang, der 100.000 Pfund in der Woche kostet.
Ihr Manager, Simon Porter, verschafft ihnen laufend Interviews mit Journalisten und sie machen alle mit ohne Einwände und gehen zu jedem Interview wie fromme Lämmer. "Sie sind die am härtesten arbeitende Band, die ich je gekannt habe", sagt Porter stolz. "Es ist ein grausamer Zeitplan, aber sie machen es gerne. Sie haben eine unglaubliche Arbeitsmoral."
Es ist 18 Uhr: Zeit für Rossi's Gymnastik und Parfitt's Nickerchen - die Jungs sind voll in ihrer Routine.
Draussen johlen die Fans, um einen Blick auf ihre Helden zu werfen. Maureen Allen, 43, die in einer Fabrik in Southend, Essex arbeitet, ist ein Quo-Fan seit sie 11 ist. "Ich habe mit dem touren 1993 angefangen. Ich liebe Quo," sagt sie, ihre Augen glänzen dabei. "Ich bin dieses Jahr bei 40 Konzerten gewesen. Ich werde nie aufhören. Ich liebe sie."
Der Tourbus der Band ist wie ein hochmoderner Wohnwagen gebaut, mit einem Essen-Bereich, Plasma-Fernsehen. Oben sind 8 Betten mit je einem Zimmer für Rossi und Parfitt.
Rossi's Zimmer hat ein Doppel-Bett und Parfitt's Zimmer, der "Queer-Club" heisst, hat 2 Sessel mit Armlehnen und einen extra Fernseher, oben drauf steht eine Dose die englischen Senf enthält.
Im leicht rosa gehaltenen "Stimmungs-Raum" (der ist dazu da, wenn Du eben in Stimmung bist) sitzt später Parfitt mit Rhino zusammen und spielt auf seiner Ukulele.
"Ich liebe meine Ukulele," sagt er "wenn ich mit ihr nicht spiele, dann entspanne ich mich beim Anschauen von 'Coronation Street' oder bei 'Raumschiff Enterprise'."
"Der Tag, an dem wir IN sind, das wird der Tag sein, wenn wir aufhören." verkündet Rhino aus heiterem Himmel. "Wir interessieren uns nicht für Trends, Trends machen uns nicht an."
"Liebe Güte," sagt Parfitt "wir klingen wie Spinal Tap. Wir sind heutzutage eher wie dieser George Formsby als Rock 'n' Roll.
Seine Füsse fangen unkontrolliert zu wackeln an. "Das sind die Nerven." erklärt er "Das passiert immer so um diese Zeit herum."
Krampfhaft überlege ich, wie ich ihn nach dieser Sache mit dem Partner eines Rick Parfitt Fans fragen kann, aber es erscheint mir dann nicht der richtige Zeitpunkt dazu zu sein.
"Wir sind nicht schlecht, wenn man so unser Alter sieht, was?" meint Rhino.
"Ich hoffe, wir geben nicht auf." sagt Parfitt "Ich weiss nicht, was wir dann tun würden."
"Habt ihr irgendwelche bekannte Fans?" frage ich schnell, um die Stimmung aufzuheitern.
"Der Kerl, der Les Battersby in Coronation Street spielt" erklärt Rhino.
Simon streckt seinen Kopf durch die Tür und sagt, dass es Zeit ist für ein weiteres "Meet and Greet" mit den Fans. Es gibt noch zwei weitere in dieser Stunde bevor die Show beginnt.
Ich bin gerade mal halb so alt wie sie und ich werde so langsam müde.
Wenn sie dann auf der Bühne stehen, lassen die oft zitierten 3 Akkorde jeden Song wie den anderen klingen. Die Texte sind manchmal albern bis zur Schmerzgrenze, aber das Publikum mag sie, sie reagieren mit Entzücken. Sie mögen nicht IN sein, aber man liebt sie.
Gegen 23 Uhr kommt die Band zurück in den Tourbus, bereit für die 5-stündige Nachtfahrt zum nächsten Auftrittsort.