CHUCK BERRY

Respektvoll nennen zahllose Rockmusiker Chuck Berry den Übervater des Rock'n'Roll, und für eine unüberschaubare Anzahl von Bands war er 'der musikalische Ziehvater' (Neue Zürcher Zeitung). Ohne 'das absolute Rockidol' (Zeit) hätte es wahrscheinlich Gruppen wie die Rolling Stones oder Beach Boys überhaupt nicht gegeben. Sie und Heerscharen ihrer Nachkommen übernahmen klassische Kompositionen von Chuck Berry wie 'Roll Over Beethoven', 'Come On', 'Rock & Roll Music', 'Johnny B. Goode' und 'Sweet Sixteen' - Songs, die dem Rock'n'Roll eine neue Qualität gaben. Noch heute orientieren sich neue Bands am noch immer aktiven Rock'n'Roll-Monument Chuck Berry, der selbst nie den Sprung zum reichen Superstar geschafft hat, da er über Jahrzehnte von windigen Geschäftemachern und übereifrigen Managern betrogen wurde. Zudem mußte er den Diskjockey Alan Freed an den Tantiemen von 'Maybellene' beteiligen, um im Radio gespielt zu werden. Berry versäumte aus Unwissenheit Steuerzahlungen und mußte für die Verfehlungen seiner Berater vorübergehend ins Gefängnis. Charles 'Chuck' Edward Berry wurde am 18. 10. 1926 im schwarzen Elendsviertel von St. Louis, Missouri, geboren. Seine Eltern sangen im Kirchenchor, und seine ältere Schwester Thelma war eine begabte Pianistin. Berrys Baßstimme wurde für den Schulchor entdeckt. Später wirkte er in Revue-Shows mit, dabei fiel ihm der Gitarrist Tom Stevens auf. Für vier Dollar kaufte sich Berry eine gebrauchte spanische Gitarre und fand über den Blues, die Countrymusik und den Rockabilly zu Beginn der 50er Jahre zum Rhythm & Blues. 1952 gründete er die Chuck Berry Combo, und ein Jahr später kam er nach Chicago, wo ihn die Musik von Muddy Waters faszinierte. Im Mai 1955 spielte er bei der Plattenfirma Chess vor, und nach zwei Wochen hatte er ein brauchbares Demoband fertiggestellt. Die Chess-Besitzer nahmen Berry unter Vertrag, weil sie von seinem direkten Stil und seinen unkomplizierten Texten, die von 'Miezen, Autos und Musik' (Flash) handelten, begeistert waren: 'Popmusik sollte immer die Stimmung ihrer Altersgruppe reflektieren' (Chuck Berry). Berrys Sound schlug auf Anhieb ein, die im November 1955 veröffentlichte Single 'Maybellene' (US 42) wurde vom Fachmagazin Billboard als 'die meistverkaufte R&B-Platte des Jahres' registriert. Berrys Geschäftspartner wollten ihn zum schwarzen Elvis Presley aufbauen, dem 1956 / 57 mit den Hits 'Roll Over Beethoven' (US 29), 'School Day' (GB 24, US 5), 'Oh Baby Doll' (US 57) und 'Rock & Roll Music' (US 8) nahtlos der Übergang vom R&B zum furios-lebendigen Rock'n'Roll gelungen war. Berrys Markenzeichen waren ungeschliffene, provozierende Gitarrenchorusse, eine simple, jederzeit verständliche Yeah-Sprache und sein unvergleichlicher Duck-Walk (Entengang). Chuck Berry verfügte über das Talent, seine Fans mit seinem harten, lauten Country-Rhythmus, den er auch für traurige Bluesballaden einsetzte, mitzureißen. 1958 brachte Chuck Berry acht Singles auf den Markt, darunter seine Evergreens 'Sweet Little Sixteen' (GB 16, US 2), 'Johnny B. Goode' (US 8) und 'Carol' (US 18). 'Die Vaterfigur des Rock'n'Roll' (Welt) lebte nun in Chicago und wurde in Rock'n'Roll-Kreisen in einem Atemzug mit Elvis Presley, Little Richard und Jerry Lee Lewis genannt. Seine Hoffnungen, Elvis auch kommerziell nachzueifern, erfüllten sich jedoch nicht, denn im rassistischen Amerika wollte man keine farbigen Jugendidole, obwohl Chuck Berry 'soviel für den Rock bedeutete wie Louis Armstrong für den Jazz' (Rolling Stone). Seine ersten Alben verkauften sich nur durchschnittlich, er brachte aber bis Ende der 50er Jahre weitere klassische Rock'n'Roll-Singles wie 'Almost Grown' (US 32), 'Little Queenie' (US 80) und 'Back In The U.S.A.' (US 37) heraus. Mit inzwischen acht Goldenen Schallplatten galt er als erfolgreichster schwarzer Musiker neben Fats Domino. 1960 eröffnete Chuck Berry auf einem von ihm 1957 erworbenen Gelände im Westen von St. Louis den 'Berry Park Country Club'. Zur gleichen Zeit mußte er sich vor Gericht verantworten. Ihm wurde vorgeworfen, eine Minderjährige ohne Zustimmung ihrer Eltern über eine Staatsgrenze gebracht zu haben. Obwohl die Anklage nicht haltbar war, wurde Chuck Berry 1962 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Seine Plattenfirma überbrückte diese Zeit mit älterem Studiomaterial und Live-Aufnahmen. Am besten verkauften sich die Singles 'Too Pooped To Pop' (US 42), 'Memphis Tennessee' (GB 8) und die LP 'On Stage' (GB 7, US 29). Als in Großbritannien die Beatmusik die Schlagzeilen beherrschte, wuchs auch wieder das Interesse am Sound von Chuck Berry, der auf Bands wie die Stones, Yardbirds und Animals maßgeblichen Einfluß hatte. Der Erfolg des Beat führte vor allem in Europa zu einem Rock'n'Roll-Revival. Chuck Berry feierte daraufhin mit den Songs 'Nadine' (GB 29, US 41), 'No Particular Place To Go' (GB 4, US 6), 'You Never Can Tell' (GB 23, US 15), 'Promised Land' (GB 26, US 42) und den Samplern 'Greatest Hits' (US 20) 'More Chuck Berry' (GB 8) ein Comeback. Chuck Berry stellte eine eigene Band zusammen, bereiste im Mai 1964 zum ersten Mal Europa und elektrisierte seine Fans mit hypnotischer, unverkennbar einfacher Rock'n'Roll-Musik. Im Oktober des Jahres bestritt er als Stargast im Civic Auditorium im kalifornischen Santa Monica eine Show mit den Stones, Beach Boys und Supremes. Der Chuck Berry-Boom ließ schnell wieder nach, und von seinen zahlreichen Veröffentlichungen bis 1970 verkauften sich lediglich die Single 'Dear Dad' (US 82) und das Album 'From St. Louis To Liverpool' (US 100) einigermaßen. Er nahm darüber hinaus einige Platten mit seinen Schülern auf. So wurde er z.B. beim LP-Mitschnitt 'Live At The Fillmore Auditorium' Anfang 1967 von der kompletten Steve Miller Band begleitet. Zu Beginn der 70er Jahre wurde es still um 'Mr. Rock'n'Roll' (Stern). Er kehrte 1970 zu Chess Records zurück und produzierte das Album 'Back Home', das den später durch die Steve Gibbons Band bekannt gewordenen Song 'Tulane' enthielt. Gemeinsam mit Kenny Jones (dr) und Ian McLagan (p) von den Faces nahm er Anfang 1972 'London Sessions' (US 5) auf, was völlig überraschend im Sommer des Jahres sein erfolgreichstes Album werden sollte. Im Oktober 1972 folgte der anzügliche Song 'My Ding-A-Ling' (GB 1, US 1, D 40), der von mehreren Radiostationen boykottiert wurde, aber dennoch die Spitze der Charts erreichte. Zum dritten Mal entdeckte die Popwelt den faszinierenden Sound von Chuck Berry. Ende 1972 glückte ihm mit der Live-Version von 'Reelin' And Rockin'' (GB 22, US 29) ein weiterer Hit. Berry tourte nun wieder regelmäßig auf beiden Seiten des Atlantiks. Seine knappen Gitarrensoli und die spontane Teenagerlyrik erwiesen sich als zeitlos. Neben den Tourneen und Konzerten widmete sich 'das Rock'n'Roll-Genie' (Stereoplay) auch anderen Aktivitäten: 1973 wurde er von Bruce Springsteens Band begleitet, 1975 nahm er mit seiner Tochter Ingrid Berry Gibson ein Duett auf, 1977 realisierte er mit 'Motorvatin'' (GB 9) noch einmal ein Hitalbum. Ansonsten verkauften sich lediglich seine Sampler überdurchschnittlich. 1978 spielte er in dem Film 'American Hot Wax' sich selbst. Im Juni 1979 lud ihn der damalige US-Präsident Jimmy Carter zu einem Auftritt ins Weiße Haus ein. Im Juli des Jahres mußte Berry eine dreimonatige Haftstrafe wegen Steuervergehens antreten, und im Oktober wurde seine vielgelobte LP 'Rockit' mit dem Pianisten Johnnie Johnson veröffentlicht. Auch ohne Verkaufserfolge war Berrys Ruf als Meister seines Genres unumstritten: 'Er sorgte für einige der größten Rock'n'Roll-Platten, die jemals gemacht wurden' (Rolling Stone). Berry erhielt im Februar 1985 einen Special-Grammy für sein Lebenswerk und wurde im Jahr darauf in die Rock'n'Roll Hall Of Fame aufgenommen. Ende 1986 leitete Keith Richards eine Begleitband für Berry, zu der Eric Clapton, Linda Ronstadt, Etta James und Julian Lennon gehörten. Die Gruppe probte auf Berrys Farm in Wentzville, Missouri, für ein Konzert aus Anlaß des 60. Geburtstages der Rock'n'Roll-Legende. Dieses Konzert bildete die Grundlage für den Film und den dazugehörigen Soundtrack 'Hail! Hail! Rock'n'Roll'. Der Film kam im Oktober 1987 in die Kinos. 1988 erschien Chuck Berrys Autobiographie, und nach einer Englandtournee erklärte der Musiker einer Fachzeitung, daß er sich bald in den Ruhestand zurückziehen wolle. Im August 1989 wurde sein Song 'Johnny B. Goode' als 'typisch amerikanische Musik' (Guinness) mit dem Satelliten Voyager 2 ins All geschickt. Drei Monate später beteiligte sich Berry neben den Coasters, Jay und Five Satins an einer Rock'n'Roll-Revival-Show. Ende des Jahres wurde Berry wegen pornographischer Aktivitäten angeklagt. 1990 mußte er sich außerdem wegen Drogenund Waffenbesitzes verantworten. Im Dezember wurde er zu sechs Monaten Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt. Berrys trat in den 90er Jahren nur noch sporadisch auf und ließ sich die Gage vor Beginn des Auftritts auszahlen. Ende 1991 absolvierte er eine umjubelte Tournee durch Großbritannien, und ein Jahr später gab er ein exklusives Gastspiel im Londoner Hammersmith Odeon. Der 'kontroverse Rock-Held' (Guinness) zog sich immer mehr ins Privatleben zurück und trat 1993 lediglich zweimal auf: Mit einer Allstar-Band, der u.a. Stephen Stills und Little Richard angehörten, spielte er im Januar zwei seiner Klassiker bei der 52. Präsidenten-Gala, und im Juni gastierte er anläßlich der Zeremonie zur Rock'n'Roll Hall Of Fame in Cleveland, Ohio. Berrys langjähriger Pianist Johnnie Johnson gründete 1991 eine eigene Band, die einen exzellenten Jump-Blues interpretierte. Bei 'Johnny Be Bad' wurde er von Eric Clapton und Keith Richards, bei 'That'll Work' von den Kentucky Headhunters unterstützt. Stargäste bei 'Johnnie Be Back' waren Buddy Guy, Phoebe Snow, John Sebastian und Al Kooper.

 

Discographie

AFTER SCHOOL SESSIONS 1958

ONE DOZEN BERRYS 1958

BERRY IS ON TOP 1959

ROCKIN' AT THE HOPS 1960

MORE CHUCK BERRY 1960

NEW JUKE BOX HITS 1961

TWIST 1962

ON STAGE 1963

CHUCK BERRY 1963

GREATEST HITS 1964

YOU NEVER CAN TELL 1964

RHYTHM & BLUES RENDEVOUZ 1964

FRESH BERRY'S 1965

IN LONDON 1965

ST. LOUIS TO LIVERPOOL 1966

LIVE AT THE FILLMORE AUDITORIUM 1967

LIVE AT THE FILLMORE AUDITORIUM 1967 (mit Steve Miller Band)

IN MEMPHIS 1967

LIVE AT THE FILLMORE 1967 (Steve Miller mit Chuck Berry)

FROM ST. LOUIS TO FRISCO 1968

CONCERTO IN B. GOODE 1969

LIVE IN TORONTO 1969

CHUCK BERRY'S GREATEST HITS 1969

BACK HOME 1970

HOME AGAIN 1971

SAN FRANCISCO DUES 1971

THE LONDON CHUCK BERRY SESSIONS 1972

ST. LOUIS TO FRISCO TO MEMPHIS 1972 (mit Steve Miller Band)

BACK IN THE U.S.A. 1973

CHUCK BERRY'S GOLDEN DECADE 1973

GOLDEN DECADE 1973

BIO 1973

TWO GREAT GUITARS 1974 (mit Bo Diddley)

GOLDEN DECADE VOL. 2 1974

CHUCK BERRY 1975

I'M A ROCKER 1975

MOTORVATIN' 1977

LIVE IN CONCERT 1978

ROCKIT 1979

SPOTLIGHT ON... 1980

MODS & ROCKERS 1980

ROCKING WITH 1981

TOKYO SESSION 1981

ROCK'N'ROLL RARITIES 1986

HAIL!HAIL!ROCK'N'ROLL 1987